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01.01.2012 | Sonntag | Ökosex

Das neue Mehr heißt Weniger

Wenn Postwachstum weniger Konsum heißt, ist das Weniger dann echt mehr?

 

Ein digitales Piano, eine Bassgitarre, ein paar Bücher und andere Nettigkeiten: ich muss gestehen, Weihnachten hat unseren Haushalt wieder materiell etwas erweitert und die Wirtschaft im klassischen Sinne des Bruttosozialproduktes angekurbelt. Bei Digitalpianos ist es übrigens noch ein bisschen undurchsichtig, welches Unternehmen – Yamaha, Roland oder Kawai – nun grünere Instrumente konstruiert. Schwierig. Und ob ein Naturklavier besser wäre? Immerhin steckt da viel Holz (Mahagoni?) und Stahl (Rahmen) drin, und irgendwie fehlt mir der USB Anschluss. Merkwürdigerweise sind Musikinstrumente noch kaum in der Öko-Check-Welt angekommen. Liegt vielleicht auch an den Musikern, die sich noch nicht flächendeckend mit nachhaltiger Mucke beschäftigen.

Dem Bruttosozialprodukt ist das eh egal. Auch in der Konsumgesellschaft 2012 ist jeder Konsum erst mal guter Konsum. Ich hätte meinen Kindern zu Weihnachten in diesem Sinne auch eine Heckler und Koch kaufen können. Die haben übrigens auch einen schönen Online-Shop, mit einem beeindruckenden Angebot an Maschinengewehren. Waffenverkäufe liefen aus deutscher Sicht 2011 ganz gut, was allgemein als positiv gesehen wird.

Die gehören nämlich auch zur Wohlstandsmessung wie Blutkonserven. Wer wegen einer Schussverletzung im vergangenen Jahr anderer Leute Blut konsumieren musste, hat sicher erfahren, dass Blutverlust zwar die Wirtschaft ankurbelt (Krankenhausbelegung, Bestattungsunternehmen), aber nicht unbedingt das gute Leben. Interessanterweise gibt es seit Jahren die Einsicht, dass unsere Messlatten für Wohlstand hinten und vorne nicht stimmen, aber in der Krise freuen sich doch wieder alle über jedes bisschen Mehr.

Mehr Wachstum, ausgedrückt in Bruttosozialprodukt. Mehr Aktienwert, gut gelaunt verkündet im ewigen Börsenkurs im Ersten vor der Tagesschau. Mehr Blech. Die Verkaufszahlen der Autoindustrie als Kernindikator des deutschen Wohlbefindens. Und natürlich die Umsätze im Einzelhandel. Immer noch werden wir pauschal für unsere Kauflaune gelobt, weil der Einzelhandel an Weihnachten gute Umsätze machte. Was wir kaufen ist wurscht. Die pauschale Umsatz-Euphorie ist natürlich schräg, weil wir bekanntlich ein Ressourcenproblem haben, weil wir bekanntlich vom Energiehunger runter kommen sollten, weil wir ein kapitalistisches Mehr-Problem haben. Das sollte vielleicht 2012 nochmals deutlicher diskutiert werden: Wie sieht eigentlich ein Leben ohne Wachstumsfetischismus aus?

Ich bin ja auch jemand, der im Sinne der Energiewende und der solaren Effizienzrevolution erst mal zum Konsum aufruft: kauft Photovoltaikanlagen, kauft Windenergieanteile, kauft engergiesparende Heizungspumpen und kauft vor allem tolle Fahrräder mit 30 Gängen. Aber natürlich ist das nur die halbe Wahrheit: mein ganzes Gequatsche über Bio-, Öko- und Fairtrade-Produkte kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns 2012 noch stärker mit dem Eingemachten beschäftigen und die kapitalistischen Hosen runterlassen müssen: Mehr vom Mehr geht auf Dauer nicht. Auch nicht mehr vom vermeintlich Guten. Ohne Weniger keine Nachhaltigkeit.

Wen das interessiert, sollte mal was von Nico Paech lesen. Der spricht von der Notwendigkeit einer Postwachstums-Ökonomie und geht mit Leuten wie mir hart ins Gericht, die den grünen Wachstumsmythos pflegten. Meine Entkopplungsfantasien – eben weniger Energie und Ressourcen durch qualitatives Wachstum – seien längst widerlegt. Tatsächlich werden ja heute beispielsweise Energieeinsparungserfolge durch Wachstum kompensiert. Zwar werden die Kühlschränke effizienter, dafür leben mehr Leute allein und brauchen einen. Zwar sinkt der Verbrauch an Heizung pro m², dafür werden die Wohnungen grösser.

Die Ökologiebewegung hat das natürlich vor 30 Jahren schon gewusst. Allerdings haben die Ökos damals zwei Erfahrungen gemacht: wer das Weniger nur andeutet, hat in der Konsumgesellschaft ein Problem. Freunde macht man sich damit nicht. Und mal ehrlich, liebe Lohas: echter Verzicht ist bei den neuen, bewussteren Konsumenten auch nicht wirklich angesagt. Solange die Wohlstandsindikatoren das Falsche messen, hat es auch eine Postwachstums-Politik schwer. Wer weniger Autos nicht nur sagt, sondern auch aktiv betreibt, wird kaum Wahlen gewinnen. Deshalb meine Bitte an alle Postwachstums-Verkünder, Freunde des Konsumverzichts, Lohas und grüne Wachstumsfetischisten: könnten wir 2012 mal genauer diskutieren, wie Bürger und Konsumenten für ein Weniger vom Mehr zu begeistern wären? Ehrlich gesagt: ich habe keine Ahnung.

MARTIN UNFRIED ÜBER ÖKOSEX

*) Die Grafik wird wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung von: Miro Poferl und Utopia

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